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Colitis Ulcerosa Erfahrungsbericht: Michael (50)

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Der Verlauf einer Colitis Ulcerosa ist extrem individuell. Genauso sind es die Erfahrungen, die Patienten mit der Erkrankung machen. Um einen Einblick in solche Erfahrungen zu geben, erscheinen an dieser Stelle die Colitis Ulcerosa Erfahrungsberichte von Leserinnen und Lesern des Blogs. Heute berichtet ein anonymer Leser, den ich einfach mal Michael nenne. Er hat seit vielen Jahren Erfahrung mit Colitis Ulcerosa, auch wenn es zunächst ein langer Weg bis zur Diagnose war. Aktuell befindet er sich mit Remicade (Infliximab) glücklicherweise in der Remission. Danke Michael, dass du deine Erfahrungen teilst!

Du hast auch Erfahrungen mit Colitis Ulcerosa, Stoma oder Pouch und möchtest sie teilen? Schreibe mir hier eine Nachricht!

Allgemeines

Name: Michael (Name auf Wunsch geändert)
Alter: 50 Jahre

Erfahrungsbericht

Ich war ein aufgewecktes Kind. Sehr interessiert an der Natur und an Fußball oder generell an körperlicher Aktivität. Bei schönem Wetter im Klassenzimmer zu sitzen war für mich jeweils eine große Strafe. Als Kind machten sich normale Erkrankungen bemerkbar, nichts Gravierendes. Aber schon früh zeigte sich eine Tendenz zu starkem, hohem Fieber verbunden mit positiven oder negativen Stresssituationen.

2004 gab es einen Trauerfall in meiner Familie, der mich belastet hat. Nachdem alles geregelt war, sind wir zur Erholung eine Woche ans Meer gefahren. Die erste Nacht habe ich dort praktisch nur auf der Toilette verbracht, zum ersten Mal auch mit Krämpfen. Ungefähr zur gleichen Zeit bekam ich öfters auch Probleme mit wiederkehrendem Reflux, den in den letzten Jahren mit Säurehemmer selbst behandelt habe. Eine Magenspiegelung zeigte keine großen Auffälligkeiten. Auch bei der ersten Darmspiegelung wurde nur eine leichte, rückgängige Entzündung festgestellt.

Zu dieser Zeit gingen sowohl mein Hausarzt wie auch der Gastroenterologe von verdorbenem Essen aus. Nervöser Magen bzw. Reizdarm in Verbindung mit steigendem Stress auf der Arbeit und im privaten wurde angenommen. Die Beschwerden kamen schon damals in Schüben und gingen nach einigen Tagen und Wochen auch wieder weg. Auffällig daran war, dass die Symptome meist am Anfang der Ferien auftraten. Genau nachdem ich jeweils auf der Arbeit noch einen großen Endspurt erbracht und gleichzeitig die Vorbereitungen für die Ferien getroffen habe.

Mit Sicherheit kann ich heute, mit vielen Jahren Erfahrung sagen, dass eine größere mentale Belastung und Stresssituationen bei mir sehr rasch zu mehr Symptomen führen. Aber wusste ich damals noch nicht.

2015. In der Zwischenzeit hatte ich mich mit den sporadisch auftretenden «Magen Problemen» arrangiert und machte eine Heilschlamm-Kur, um den Reflux zu bekämpfen. Das hat zwar für den Reflux recht gut funktioniert, dafür hatte ich aber mit Durchfall zu kämpfen. Dann erstmals auch mit Bluteinlagerungen. Es ist jeweils so abgelaufen, dass ich morgens statt 1x halt 2-3x auf die Toilette musste. Starke Krämpfe waren noch kein Thema. Nur kleine Blutschlieren mussten ja auch nicht etwas automatisch Schlimmes bedeuten, dachte ich damals.

Das hat sich dann ein Jahr später geändert. Auf der Arbeit hatten wir Hochsaison und ich stand unter Stress. Eines Morgens erwachte ich mit einem total blockierten Hals. Krankschreiben war keine Alternative und so bekämpfte ich dieses Problem mit Schmerztabletten. Der blockierte Hals war nach einigen Tagen kuriert aber der Durchfall kam kurz darauf mit Macht zurück.

Jetzt konnte ich das nicht länger ignorieren. Krämpfe und blutiger Durchfall die ganze Nacht, ich war richtig krank und nicht mehr arbeitsfähig. Nachdem ich beim Gastroenterologen vehement auf einen schnellen Termin gedrängt habe, wurde ich dort nochmals untersucht und bekam zum ersten Mal Cortison. Das hat zum Glück sehr schnell angeschlagen und die akuten Probleme gingen zurück.

Bei der darauffolgenden Untersuchung mit Darmspiegelung wurde dann die Diagnose Colitis-Ulcerosa gestellt. Mehr als 10 Jahre nach den ersten Beschwerden.

Der Arzt hat mir geduldig erklärt um was es sich handelt. Generell kann ich sagen, dass ich einen engagierten Gastroenterologen habe, der auch mal am Sonntag das Telefon abnimmt, was wichtig ist. Gleichwohl war mir die Tragweite in der Gesamtheit nicht bewusst. Ich habe so ziemlich alle Merkblätter der Crohn-Colitis Vereinigung der Schweiz gelesen. Und meine Verwirrung hat sich langsam und brutal in Wissen gewandelt.

Am Anfang war ich noch ungehalten darüber, dass ich scheinbar lebenslang Mesalazin schlucken muss und wollte die gleichzeitig verordneten Einläufe lieber gestern als heute beenden. Immerhin, das Medikament hat anfangs sehr schnell gewirkt. Es wirkte so gut, dass ich nach ca. 8 Monaten die Rektale-Therapie in Rücksprache mit dem Gastro beenden durfte. Das Granulat nahm und nehme ich weiterhin. Rückblickend war es evtl. ein Fehler die Mesalazin-Einläufe gänzlich zu stoppen. Ich hatte mich überraschenderweise mit der Zeit daran gewöhnt, auch wenn das natürlich niemals angenehm war.

Ein halbes Jahr später machten sich wieder mehr Beschwerden bemerkbar. Wieder bekam ich Cortison. Leider ließ es sich aber nicht mehr absetzen oder ausschleichen, wie der Mediziner sagt. Kaum war ich runter auf ca. 15mg, haben die Beschwerden wieder zugenommen und letztendlich wurde ein Steroid-refraktärer Verlauf festgestellt. Das heißt Cortison hilft nicht mehr.

Auch mit rektaler Einnahme von Mesalazin besserte es sich nicht mehr. Also musste etwas anderes her: Azathioprin. Das war dann mein erstes Immunsuppressivum. Nach einer sehr langen Startphase von rund 4 Monaten hat es dann tatsächlich noch seine Wirkung entfaltet und ich kam wieder in eine Remission. Mein Arzt wollte die Therapie schon weiter eskalieren, aber ich bat ihn noch um etwas Geduld, weil ich selbst das Gefühl hatte, dass es sich ganz langsam bessert.

Ganz im Allgemeinen sei hier mal angemerkt, dass man den Medizinern deutlich sagen soll, was man selbst möchte und spürt. Sie sehen die Laborwerte, sie haben das Wissen um die Krankheiten und die Therapien. Aber sie haben nicht die Fähigkeit eure Gefühle zu spüren. Und manchmal verstehen Sie einen auch nicht oder stehen selbst unter großem zeitlichem Druck.

Es folgte eine Phase zwischen Niedergeschlagenheit und Euphorie. Ich konnte wieder alles machen, fühlte mich gut. Ich war wieder viel in der Natur, machte Wanderungen in den Bergen mit meiner Frau. Ich hatte aber auch ab und an mit Nebenwirkungen zu kämpfen. In dieser Zeit bekam ich eine Augenentzündung in beiden Augen und danach auch noch eine Blasenentzündung. Auch verändert das Medikament die Ausscheidungen zum Teil sehr stark. Neongelber Urin war Normalzustand.

In der Zwischenzeit wurde unser Unternehmen total überraschend verkauft. Es folgten Umstrukturierung, neue Arbeitsabläufe und damit auch wieder eine Menge Stress. Nicht nur mir ging das an die Substanz. Wir hatten mit vielen Abgängen und Krankheitsausfällen zu kämpfen. Und dann kam Corona. Der Lockdown war in dieser Situation, zumindest hinter vorgehaltener Hand, eine sehr willkommene Pause. Ich konnte die wieder aufkeimenden Symptome in dieser Zeit gut unter Kontrolle bekommen und war neben der allgemeinen Unsicherheit eigentlich guter Dinge.

Die Wiedereröffnung nach dem Lockdown war ein Schock. Der Kundenandrang so gewaltig wie ich ihn auch an den verrücktesten Tagen nicht erlebt hatte. Und das über mehrere Wochen. Einige Monate danach machte mein Körper das Ganze nicht mehr mit. Im Herbst 2021 wurden die Beschwerden wieder stärker. Jetzt machten selbst leichtere Mahlzeiten Probleme. Mein Arzt sah bei Blutuntersuchungen aber keine Entzündungswerte und meinte es sei wohl nur eine kleine Reaktion auf den ganzen Trubel.

Ich selbst wusste es aber insgeheim besser, wenn ich denn ehrlich mit mir selbst gewesen wäre. Im Winter 2021/2022 hatte ich dann wieder Blut im Stuhl. Es folgte wieder das Bekannte Schema mit hoher Kortison-Gabe und anschließendem Ausschleichen. Leider hat das Kortison diesmal nicht mehr so gut gewirkt und es war schnell klar, dass ich nicht mehr auf Azathioprin zurückkommen würde.

Die nächste Stufe ist ein Biologikum, in meinem Fall Infliximab. Das war nochmals ein großer Eingriff in mein Leben, wird es doch nur stationär und intravenös verabreicht. Und es ist sehr teuer. Bevor ich das Mittel bekommen habe, bin ich allerdings durch die Hölle gegangen. Täglich bis zu 20 äußerst schmerzhafte Stuhlgänge habe ich ertragen müssen. Buscopan hat etwas gegen die Krämpfe geholfen. Zeitweise habe ich davon 10 Stück/Tag genommen. Und dazu noch weitere Schmerzmittel.

Gute 2 Monate lang war ich nur noch zu Hause und konnte mich nicht weiter als vielleicht 100 Meter vom Haus entfernen, ohne mir in die Hosen zu machen. Auch das ist vorgekommen. Unglaubliche Krämpfe und immer die Ungewissheit, ob es wieder besser werden wird oder ob mir am Schluss nichts anderes übrigbleibt, als den Dickdarm entfernen zu lassen.

Aber Achtung, Colitis kann auch Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit bis zur Depression verursachen. Holt euch professionelle Hilfe, wenn ihr diese braucht. Schließt euch Patientenorganisationen an. Sprecht mit Leuten, denen es ähnlich geht. Es hilft euch und dem Gegenüber sich auszutauschen. Ich habe mich ernsthaft mit der Kolektomie beschäftigt, einiges darüber gelesen. So auch in diesem Blog, der mir vor Augen geführt hat, was sein kann, was ein Ausweg sein könnte aber nicht unbedingt sein muss. Danke an Lasse der seinen Colitis Ulcerosa Erfahrungsbericht mit uns allen mitgeteilt hat und mit seinem Optimismus und seiner Kraft auch mir Energie und Hoffnung gegeben hat.

Als nach der 2. Infusion noch keine wirkliche Besserung eingetreten ist, hat mein Gastroenterologe Klartext mit mir gesprochen und mir gesagt, dass ich mich selbst verändern müsste, um aus dem Kreislauf rauszukommen. Er könne mir sonst nicht weiterhelfen. Er hat mir geraten mich beruflich zu verändern. Mittlerweile habe ich das auch gemacht.

Nach der 3. Infusion hat sich die Lage dann abrupt gebessert. Ich war zu diesem Zeitpunkt gut 3 Monate nicht mehr auf der Arbeit gewesen. Als ich zurückkehrte, habe ich mein Arbeitspensum stark zurückgefahren. Alles Geld, was man hat, würde man geben, wenn man nur wieder gesund sein könnte. Wenn man nur noch 2 oder 3 Tage in der Woche arbeitet, ist man mehr zu Hause als auf der Arbeit. Und das macht einen großen Unterschied! Ich habe während der akuten Phase auch mit Achtsamkeitsübungen und Meditation begonnen. Hat es geholfen? Nun, geschadet hat es sicher nicht und es vermittelt ein vertieftes Körpergefühl und Ruhe. Wenn Stress schadet, so müssen doch Ruhe und Konzentration nützen.

Ich habe zeitweise auch einen Akupunkteur besucht. Auch hier kann ich sagen, dass es für mich eine Wirkung hatte. Zumindest bei Erkältung und Kopfschmerzen war diese unmittelbar spürbar. Über Langzeiterfolge bei unserer Krankheit kann ich aber nichts sagen. Nur dass ich mich soweit stabil in Remission befinde. Mit kleinen Ups und Downs.

Etwas noch zu alternativen Ansätzen: bitte geht nicht zu selbsternannten Wunderheilern, die euch unrealistische Versprechungen machen. Auch wenn es sich traumhaft gut anhört. Lasse hat bereits über einige Beispiele auf diesem Blog berichtet. Es gibt leider viele Geschäftemacher, die aus dem Leid von anderen noch einen Gewinn für sich selbst machen wollen. Sie versuchen die Situation von Hilflosen und Hilfebedürftigen auszunutzen in einer Lage, in der man nach jedem Strohhalm greifen will.

Jetzt habe ich also seit bald einmal 2 Jahren Remicade (Infliximab). Seit gut 1.5 Jahren bin ich in Remission. Im letzten Herbst habe ich mich bei einem kleinem Unternehmen beworben und mir wurde sofort viel Wertschätzung entgegengebracht. Als Sie mich nach dem ersten Gespräch nochmals sehen wollten habe ich am Telefon meine Erkrankung bekannt gegeben. Nach einer kurzen Bedenkzeit haben sie mich gleichwohl eingestellt.

Es war für mich nach vielen Jahren im alten Unternehmen ein großer Schritt die Stelle zu wechseln. Man sieht ja vorerst nur, was man verlässt. Bis jetzt hat es sich aber wirklich gelohnt. Ich bin ganz glücklich an diesem Ort und das Klima zwischen den Kollegen ist wirklich top. Mich nicht allzu sehr zu verausgaben und auf meinen Körper zu hören habe ich mir für die Zukunft fest vorgenommen, auch wenn es mir noch immer nicht einfach fällt. Und auch, dass ich mich über die kleinen Dinge und im Leben freuen kann.

Was die Zukunft sonst noch für Überraschungen für uns alle bereit hält, weiß ich nicht. Generell kann niemand den Verlauf einer Krankheit wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn vorhersagen. Noch nicht. Natürlich hoffe auch ich auf ein neues Medikament, dass noch besser wirkt als alles, was schon verfügbar ist. Oder im Idealfall die Krankheit ganz heilt. Jedes Jahr gibt es neue Wirkstoffe. Die Forschung hat während meiner Krankheitsgeschichte schon große Fortschritte gemacht. Und meistens verläuft die Erkrankung ja auch nicht so schwer, wie ich es hier schildere. Oder wie es andere noch schlimmer erfahren mussten.

Für viele von euch die diesen Bericht lesen, weil es euch momentan schlecht geht, kann es eine einmalige Phase sein oder ihr werdet mit wenig Einschränkungen und Medikamenten klarkommen. Wie auch immer es euch geht, verliert niemals die Hoffnung. Ein kurzer Satz nur den ich irgendwo mal gelesen habe aber er stimmt: Jeder Schub ist geht mal zu Ende. Glaubt daran, dass es besser wird und hört auf euer Gefühl!

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