Nachdem mir im Münchner Klinikum nicht geholfen werden konnte, komme ich in Köln-Porz an. Seit nun einer Woche konnte ich nicht mehr essen und auch die Schmerzen wurden immer stärker. Irgendein Problem muss es also geben, auch wenn in München nichts gefunden wurde. Und auf die Experten aus Köln ist Verlass: Schon in der Notaufnahme wird ein Großteil meiner Fragen geklärt. Die Lösung aller Probleme lautet Stoma-Rückverlegung, also die dritte OP. Sie wäre in drei Wochen ohnehin geplant, könnte angesichts meiner Beschwerden aber vorgezogen werden. Nimmt jetzt alles ein gutes Ende und dabei auch noch drei Wochen früher, als geplant? Hier gibt es meine Erfahrungen mit der Stoma-Rückverlegung.
Es geht auch anders
Als ich in der Notaufnahme in Köln-Porz ankomme, bin ich einfach nur froh. Hier kennt man mich, hat solche Komplikationen vermutlich schon tausende Male gesehen und wird mir helfen können.
Und tatsächlich läuft alles wirklich reibungslos; im Vergleich dazu wirken meine Erfahrungen aus München wirklich traurig. Obwohl es ca. 22 Uhr abends an einem Feiertag ist, spricht nach weniger als einer Stunde eine Darmchirurgin mit mir. Auch sie schient sofort das Stoma mit einem Katheter, ordnet Flüssigkeitsinfusionen, Schmerzmittel und etwas gegen Übelkeit an.
Was ihr aber sofort beim ersten Blick auffällt: Mein Stoma ist super klein und schaut kaum noch aus dem Bauch hervor. Ein solches „doppelläufiges Ileostoma“ hat zwei Löcher (eins von oben kommend, eins nach unten zum Pouch hin). Bei mir hat sie aber Mühe, das zweite überhaupt ertasten und den Katheter in das Richtige legen zu können. Deshalb bekomme ich hier nach einer guten Stunde etwas, dass in München nach 4 Tagen Aufenthalt nicht geschafft wurde: Eine Diagnose.
Das Ganze klingt ziemlich simpel und ich kann nicht verstehen, wie das in München keinem auffallen konnte: Meine Faszien (Bindegewebe an den Muskeln) am Bauch sind seit der letzten OP zu stark zusammengewachsen und drücken das Loch in der Bauchdecke zu. Dadurch wird der Dünndarm am Stoma schlichtweg abgeklemmt und die Darmpassage blockiert. Daher kommen die starken Krämpfe und das Völlegefühl. Hinzu kommt, dass auch der Magen rebelliert, wenn es im Dünndarm nicht weitergeht. Deshalb kann ich auch nicht mehr essen und muss mich ständig übergeben.
Glücklicherweise können mir die Ärzte der Notaufnahme auch schon die Lösung des Problems grob skizzieren. Damit mein Stoma wieder richtig funktioniert, müsste man es operieren und somit wieder weiter aufschneiden. Da die Stoma-Rückverlegung aber sowieso in drei Wochen geplant ist, lohne sich das nicht. Stattdessen sollte sie vorgezogen werden. Kein Stoma mehr = kein Stoma, dass abgeklemmt wird.
Aufgrund meines Aufenthalts im Münchner Krankenhaus und des daraus folgenden Risikos für Krankenhauskeime komme ich in der Nacht noch auf ein Isolationszimmer. Dort kann ich meine Ruhe genießen, bis die Ergebnisse mehrerer Abstriche da sind.
Ich bin einfach nur happy. Wenn es so kommt, wie in der Notaufnahme beschrieben, dann nimmt die Sache vielleicht sehr bald schon ein gutes Ende. Ich kann es kaum erwarten und erinnere mich an einen Satz, den ich noch vor wenigen Wochen und vor der 2. OP hier auf dem Blog geschrieben habe:
Ich bekomme ein neues (und anderes) Stoma, an welches ich mich von neuem gewöhnen muss und mit dem viele Patienten mehr Probleme haben, als mit dem, das ich aktuell habe.
J-Pouch Erfahrungsbericht #12: Der Tag vor der 2. OP
Gut vorhergesagt Vergangenheits-Lasse!
Wie geht es weiter?
Schon am Dienstag endet mein Premiumaufenthalt im Einzelzimmer leider mangels Krankenhauskeim und ich komme auf die altbekannte Station 14. Dort werde ich herzlich empfangen und höre bei den Übergaben von Ärzten und Pflegepersonal des häufigeren den Satz „Achja, und unser Herr Lasse ist auch wieder da.“ Selbst das Zimmer ist dasselbe, dieses Mal allerdings als Fensterplatz und damit inklusive kostbarem Mobilfunknetz. Ich habe also auch mal Glück.
Außerdem passiert ein kleines Wunder: Mir ist nicht mehr übel, ich habe Appetit, kann essen und es bleibt auch drin. Außerdem sind die Schmerzen erträglich und ich konnte nachts sogar ein paar Stunden schlafen. Einer der Gründe für diese guten Entwicklung hing in der ersten Nacht am Infusionsständer: Midazolam ist ein Benzodiazepin und wirkt schlaffördernd, beruhigend, angstlösend und entspannend auf die Muskulatur. [1] Ich war also einfach ausgeknockt.
Auch am Mittwoch und Donnerstag muss ich nicht mehr erbrechen; das macht schonmal vieles leichter. Trotzdem habe ich immer wieder schmerzhafte Bauchkrämpfe, mit denen ich nicht einmal liegen kann. Zwar geht es zwischendurch und ich laufe sogar über den Flur, 3-4 mal täglich sitze ich aber vor Schmerzen (7/10) gekrümmt auf dem Bett. Dagegen gibt es Piritramid als Infusion, ein Opioid mit stark schmerzstillender Wirkung. [2]
Eine Dauerlösung ist der Katheter im Stoma also definitiv nicht. Niemals kann ich diesen Zustand noch drei Wochen aushalten und auf meinen OP-Termin warten. Allerdings ist immer noch vieles unklar: Ja, die OP sollte vorgezogen werden. Allerdings kämpft ganz Deutschland zurzeit mit einer globalen Pandemie, die Krankenhäuser sind am Limit und die Intensivstationen überlastet. Die Arztvisiten sprechen mal von „Anfang nächster Woche“ und mal von „kein Termin frei“.
Ready for takedown
Donnerstag kommen dann gute Nachrichten und auf einmal geht alles ganz schnell: Es wurde ein Termin gefunden; ich soll noch am Freitagnachmittag operiert werden. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Voruntersuchungen positiv verlaufen. Diese sollen nun möglichst schnell durchgeführt werden. Sie sind vor der Stoma-Rückverlegung (engl. takedown) Standard und sollen vor der OP zeigen, ob der Pouch auch bereit ist, seine Arbeit aufzunehmen.
Noch am Donnerstag führt Professor Kroesen selbst eine sogenannte Pouchoskopie bei mir durch. Sie ist das Äquivalent zur Darmspiegelung, mit dem Unterschied, dass kein Darm, sondern nur noch der Pouch da ist. Durch das Endoskop kann der Pouch von innen angeschaut werden. So wird kontrolliert, ob alle Nähte gut verheilt sind, der Pouch gesund aussieht und es keine Engstellen gibt. Von der Untersuchung bekomme ich nichts mit, da sie unter Sedierung passiert.
Als ich wieder aufwache warte ich gespannt auf das Ergebnis. Sollte etwas nicht stimmen, könnte der gesamte Plan schon wieder scheitern. Abends gibt es dann aber Entwarnung: Alles okay, der Pouch sieht sehr gut aus. Damit ist die erste Hürde geschafft!
Am Freitagmorgen folgt dann die Pouchographie. Sie ist nochmal etwas kritischer, als die Pouchoskopie. Für die Untersuchung muss ich ins MRT und auch wach sein, da der Arzt auf meine Mitarbeit angewiesen ist. Zunächst wird ein Schlauch über den Po bis in den Pouch eingeführt. Das ist unangenehm, sollte jemanden, der den Weg zum J-Pouch bis hierhin schon geschafft hat, aber nicht mehr wirklich schocken. Der Arzt füllt über den Schlauch dann den Pouch mit einem Kontrastmittel. Gleichzeitig kann er über das MRT in Echtzeit in den Bauch schauen.
Die Untersuchung dauert dann rund 10-15 Minuten. Ich muss mich hin- und her drehen während der Arzt den Druck auf den Pouch immer mal wieder erhöht. Er schaut auf den Bildschirmen nach Undichtigkeiten. Diese würden dadurch auffallen, dass das helle Kontrastmittel auch außerhalb des Pouches gelangen würde. Ich bin wirklich nervös. Sollte der Pouch undicht sein, wäre die Stoma-Rückverlegung nicht möglich und auch der Pouch müsste operativ korrigiert werden. Doch soweit kommt es nicht. Der Arzt ist fertig, der Pouch hat standgehalten. Ich merke, wie mir die Last von den Schultern fällt.
Drei Stunden später sitze ich in bekannter OP-Kleidung in meinem Bett und werde in den OP-Bereich geschoben. Noch vor keiner der Operationen war ich so entspannt, wie jetzt gerade. Der Pouch sieht gut aus, die Stoma-Rückverlegung ist die einfachste der drei Operationen und schon in wenigen Stunden könnten die schmerzhaften Bauchkrämpfe endlich ein Ende haben. Damit wäre dann auf einmal schon alles geschafft und ich hätte in nur fünf Monaten alles überstanden. Was ich fühle ist vielmehr Vorfreude als Nervosität.
Nach der Stoma-Rückverlegung
Als ich wieder wach werde, ziehe ich sofort die Decke zur Seite und schaue hinunter. Es scheint funktioniert zu haben! Kein Beutel mehr, keine Drainagen, keine Katheter. Nur zwei kleine Pflaster verdecken die Stoma-Wunde und einen kleinen Einschnitt. Außer meinem Zugang am Arm, den ich für die Schmerzpumpe brauche, habe ich keinerlei Schläuche im Körper. Im Vergleich zu den bisherigen OPs fühle ich mich, als könnte ich quasi jetzt schon aufstehen und loslaufen. Ein unglaubliches Gefühl!
Wie immer stehe ich noch am Abend nach der OP auf. Ich habe keine Kreislaufprobleme, die Schmerzen sind aushaltbar (4/10). Allerdings verspüre ich einen unangenehmen Druck im Bauch. Als die Pfleger vorschlagen, doch einfach mal aufs Klo zu gehen, bin ich ein wenig nervös. Klappt das so wenige Stunden nach der OP schon?
Ich laufe selbstständig bis ins Bad – noch ein Zeichen, wie viel fitter ich nach dieser OP bin – und probiere es aus. Dieser Moment ist super surreal. Alles fühlt sich anders und durchaus etwas merkwürdig an. Aber schon abends nach der OP gehe ich ohne Stoma am Bauch und wie ein gesunder Mensch aufs Klo, zum ersten Mal seit fünf Monaten. Ich kann es selbst kaum glauben, aber der Pouch funktioniert.
Zum Abendessen bekomme ich ein Trinkjoghurt, denn für die ersten drei Tage nach der Stoma-Rückverlegung ist flüssige Kost verordnet, damit die Naht im Dünndarm nicht belastet wird. Über Nacht nehmen die Schmerzen dann leider etwas zu (6/10); ansonsten ist aber alles super.
Am nächsten Morgen spreche ich den Anästhesisten bei seinem Kontrollbesuch auf die Schmerzen an. Da keine elektronischen Schmerzpumpen frei waren, hatte ich eine mechanische bekommen. Mit dieser pumpt man selbst das Schmerzmittel in die Vene und auch der Cooldown ist irgendwie (schlecht) mechanisch umgesetzt. Eine wirkliche Wirkung habe ich davon aber nicht gespürt. Der Arzt lacht nur und sagt, die Pumpe sei auch leer. Mangels Elektronik teilt die Pumpe einem das aber leider nicht mit. Ich bekomme eine richtige Schmerzpumpe (was ich jedem rate, der so ein Plastikding bekommt) und auf einmal geht es auch mit den Schmerzen wieder (4/10).
Am Samstag wird zum ersten Mal das Pflaster an der Stoma-Narbe gewechselt und ich sehe die Wunde. Ich bin positiv überrascht und hätte sie deutlich größer erwartet. Wenn sie gut verheilt, wäre mein Bauch optisch wirklich gut davongekommen!
Es ist geschafft! Oder?
Der Tag nach der OP verläuft gut. Die Schmerzen sind unter Kontrolle und ich bin schon wieder mobil. Schon am Morgen nach der OP laufe ich erstmals ohne fremde Hilfe über den Flur. Auch aufs Klo gehe ich weiterhin selbstständig, alles funktioniert problemlos. So kann es weitergehen!
Auch der Sonntag läuft gut. Ich bin super motiviert und versuche viel Zeit im Sitzen oder sogar laufend auf dem Flur zu verbringen. Die Schmerzen nehmen trotz Schmerzpumpe ein wenig zu (5-6/10) und der Bauch fühlt sich geschwollen an. Auch Appetit habe ich noch nicht so wirklich, sodass ich nach dem ersten Trinkjoghurt erstmal nichts mehr essen kann.
Das kenne ich allerdings von den letzten OPs. Die ersten Tage sind immer unangenehm. Es wurde dann bisher mit der Zeit von alleine wieder besser. Auch die Ärzte sagen mir das. Außerdem soll ich weiter viel laufen und Kaugummi kauen, das ist alles nichts Neues für mich. Also beiße ich die Zähne zusammen, überwinde den inneren Schweinehund, der durch Opioide besonders groß wird, und zwinge mich weiterhin aus dem Bett. Es scheint ja jetzt wirklich absehbar zu sein.
Alle Beiträge der Serie „J-Pouch Erfahrungsbericht“ findest du auf der Übersichtsseite.
Quellen:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Midazolam
[2] https://flexikon.doccheck.com/de/Piritramid
[3] Summa S., Hofmann G., Matzel K., Fleischmann A. (2017) Stomaversorgung und Beratung. In: Margulies A., Kroner T., Gaisser A., Bachmann-Mettler I. (eds) Onkologische Krankenpflege. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53955-2_31
[4] Gruber G. et al. (2017) Besondere pflegerische Versorgungsaspekte. In: Gruber G. (eds) Ganzheitliche Pflege bei Patienten mit Stoma. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48429-6_7
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