Seit meiner Proktokolektomie im Juni lebe ich mit einem Ileostoma. Dieser künstliche Darmausgang ist zwar nur temporär auf dem Weg zum J-Pouch vorgesehen, wird mich aber trotzdem noch einige Monate begleiten. Falls der Pouch langfristig nicht funktionieren sollte, wäre ein dauerhaftes Leben mit Stoma außerdem die Notlösung für mich. Es gibt aber auch Patienten, die sich direkt für ein dauerhaftes Stoma entscheiden oder keine andere Wahl haben. Egal weshalb das Stoma angelegt wird, es bringt Veränderungen mit sich. Ob diese positiv oder negativ sind, liegt vor allem daran, wie man mit ihnen umgeht. Hier erfährst du, was sich für mich verändert hat.
1. Handy, Schlüssel, Notfall-Tasche?
Bislang erweist sich meine Stoma-Versorgung (All das, was man sich so auf den Bauch kleben muss) als sehr zuverlässig. Ein einziges Mal war der aufgeklebte Beutel undicht und da war ich definitiv selber schuld. Ansonsten hat alles immer einwandfrei gehalten, egal ob beim Duschen, Shoppen-gehen, Fitness-Training oder Spinning.
Trotzdem kann es natürlich jederzeit passieren, dass der Beutel undicht wird oder sonst etwas Unerwartetes passiert. Wenn man dann unvorbereitet in der Supermarkt-Schlange, einem Stau oder mitten im Wald steht, ist das ganz schön blöd. Da der Stuhl am Ende des Dünndarms noch viel Säure enthält, kann er beim Ileostoma sehr schnell die Haut schädigen, wenn er darauf gelangt. Unabhängig davon muss ich glaube ich nicht erklären, wieso es blöd ist, wenn einem (egal wo man gerade ist) ätzender Stuhlgang aus dem Bauch läuft.
Das sowas mal irgendwann passiert, kann man nicht komplett ausschließen. Deshalb bin ich so gut es geht darauf vorbereitet. Ich habe mir eine Notfalltasche gepackt, die ich immer bei mir trage. Das braucht anfangs ein wenig Gewöhnung, mittlerweile gehört sie aber wie Handy, Schlüssel und Portemonnaie zum Standard-Inventar, wenn ich die Wohnung verlasse. Darin habe ich alles, was ich brauche, um meine Stoma-Versorgung vollständig zu wechseln. Die Tasche ist eine normale Bauchtasche, die auch viele andere ohne Stoma tragen. Sie fällt nicht auf und stört nicht. So kann ich ohne Sorgen unterwegs sein, egal ob in der Stadt zum Einkaufen oder in den Bergen zum Wandern. Sollte was passieren, dann bin ich vorbereitet!
2. Nachts aufstehen
Seitdem ich mit dem Stoma lebe, muss ich nachts meist (in ca. 3/4 Nächten) einmal aufstehen, um den Stomabeutel auszuleeren. Ich werde bislang immer wach, wenn der Beutel zu voll ist, obwohl ich eher fest schlafe. Deshalb stelle ich mir bisher keinen Wecker dafür, auch wenn ich das von anderen Betroffenen schon gehört habe. So kann ich auch rund jede vierte Nacht durchschlafen, ohne den Beutel zu leeren.
Dieser Punkt stört mich ein wenig. Allerdings habe ich hier auf jeden Fall auch noch Verbesserungspotenzial, welches ich eventuell mal testweise ausnutzen werde. Bisher esse ich abends nicht sonderlich diszipliniert, das heißt auch warm, viel und zu späterer Stunde. Ich kann mir vorstellen, dass ich durchaus öfter durchschlafen könnte, wenn ich beispielsweise ab 18 Uhr nichts mehr esse und das Abendessen etwas kleiner gestalte. Um das zu ändern, stört mich das Aufstehen aber noch nicht genug. 😉
3. Bewegung und Sport
Dieser Punkt ist für mich persönlich der umfangreichste und teilweise echt knifflig. Da bei einem Stoma das Ende des Darms durch die Bauchdecke geführt wird, sind die Bauchmuskeln sehr geschwächt. Das bedeutet, dass ich nicht mehr als 10kg heben und tragen, auf Kontaktsport verzichten und generell meinen Bauch ein wenig schonen sollte. Tue ich das nicht, so riskiere ich einen Narbenbruch (Hernie). Dabei „bricht“ die Bauchdecke an der geschwächten Stelle unter der Haut auf und die Bauchorgane können sich nach außen stülpen. Wieso das schlecht ist, ist denke ich klar.
Was bedeutet das konkret im Alltag?
Dieser Punkt ist der einzige, der mich wirklich ein wenig nervt. Es gibt viele Dinge, die mehr als 10kg wiegen. Außerdem fühlt es sich ziemlich blöd an, mit einem kleinen Karton neben meiner Freundin laufen zu müssen, während diese einen 25kg Sonnenschirmständer tragen muss. Auch Blumenerde und Getränkekisten sind Beispiele, bei denen ich mich neuerdings bremsen muss. Wirklich problematisch kann dieser Punkt vor allem sein, wenn man einen handwerklichen Beruf ausübt; da habe ich auf jeden Fall Glück.
Training
Da meine erste OP erst 2,5 Monate her ist, mache ich noch nicht allzu lange wieder Sport. Kontaktsport habe ich auch vor der Kolektomie nicht gemacht. Von meinen Sportarten (Fitness, Radfahren, Joggen) habe ich bisher nur das Radfahren auf einem Spinning-Rad und Fitnesstraining wieder begonnen. Ersteres geht mit dem Stoma auf jeden Fall problemlos.
Beim Fitnesstraining wirkt sich die 10kg-Regel natürlich ziemlich stark aus und fast alle Hantel-Übungen fallen weg, wenn 10kg fürs Training nicht mehr reichen. Auch auf einen Großteil der Core-Übungen verzichte ich bisher, sodass mit Sit-Ups, Liegestützen und Co. schon ziemlich viel wegfällt. Nach der OP muss ich allerdings sowieso langsam wieder anfangen, sodass ich aktuell mit reduzierten Gewichten und erhöhten Wiederholungen trainiere. In diesem Bereich muss man sich also auf jeden Fall anpassen, kann mit etwas Kreativität aber weiterhin trainieren. Außerdem trage ich beim Sport oder sonstiger Bewegung Bandagen am Bauch, um die Muskeln zu unterstützen.
4. Ernährung
Im Bereich Ernährung ist die Veränderung bisher weniger umfangreich, als ich zu Beginn befürchtet hatte. Natürlich habe ich beim Einkaufen, Kochen oder dem Betrachten einer Speisekarte immer im Hinterkopf, worauf ich achten sollte. Allerdings fühle ich mich dadurch (noch) nicht wirklich eingeschränkt. Und es funktioniert auf jeden Fall deutlich mehr, als ich gedacht hätte.
Was ich versuche zu vermeiden:
- Kohlensäurehaltigen Getränke
- Alkohol
- Pilze, Blattspinat, Spargel und andere sehr fasrige Lebensmittel
- Kichererbsen, Erbsen, Mais/Popcorn und Co.
Die ersten beiden habe ich schon während meiner aktiven Colitis Ulcerosa weggelassen, sodass das keine große Umstellung war. Außerdem geht es mir ohne einfach besser; der Verzicht fühlt sich also nicht wie einer an.
Der letzte Punkt bezieht sich vor allem auf die Schale und lässt sich durch Pürieren umgehen. Humus und Falafel (pürierte Kichererbsen) oder Erbsen-Pesto sind zum Beispiel kein Problem.
Wobei ich die Mengen möglichst klein halte:
- Nüsse
- Rohkost
- Fasrige Lebensmittel (Blattspinat, Spargel, …)
- Körner (Vollkornbrot, Körnerbrötchen)
Bei diesen Sachen kann man durch gutes Kauen viel beeinflussen. Es ist also kein Weltuntergang, wenn ich mal eine ungekochte Karotte, ein Körnerbrötchen oder ein Snickers esse, solange ich gut kaue und mit der Menge nicht übertreibe. Das macht es auf jeden Fall unkompliziert und man wird nicht zu jemandem, der wegen seinen Essgewohnheiten im Restaurant oder bei Freunden allen auf die Nerven geht. Bisher bin ich zumindest noch immer ohne Sonderwünsche satt geworden. 😉
5. Lebensqualität
Hier hat sich durch das Stoma im Vergleich zu der aktiven Pancolitis eine Menge getan. Ich muss wegen des Stomas zwar ab und zu auf Dinge verzichten oder es langsamer angehen lassen, als ich es vor meiner Erkrankung vielleicht getan hätte. Vergleiche ich das allerdings mit der Zeit vor der Operation, in der ich zuletzt über ein halbes Jahr hinweg unter einem nicht enden wollenden Schub der Colitis litt, dann fühlt sich der aktuelle Stand an wie neugeboren.
Die Lebensqualität ist nicht besser geworden, sie ist überhaupt erstmal wieder da. Mit der Colitis brauchte ich im Schub nicht das Haus verlassen, war immer müde, hatte Schmerzen und habe, obwohl ich schon nur im Bett lag, dauerhaft Gewicht verloren. Das hat sich mit dem Stoma alles erledigt. Außerdem ist dieses auch nicht im geringsten so schlimm, wie ich es mir immer vorgestellt habe, als vor einem Jahr ein Stoma noch unvorstellbar für mich war. „Loch in der Bauchdecke“ klingt vielleicht krass, aber während ich das hier gerade schreibe, fühle ich mich kein bisschen anders, als vor meiner Erkrankung. Man muss sich dem neuen Normalzustand arrangieren und kommt dann durchaus besser klar, als man sich selbst vielleicht zugetraut hat.
Das ist natürlich nicht bei allen so. Ich möchte damit nicht sagen, dass Menschen, die mit ihrem Stoma unzufrieden sind oder waren, sich einfach nicht gut genug damit arrangiert haben. Viel hängt davon ab, dass euer Chirurg einen guten Job macht. Das war bei mir der Fall und macht es mir z.B. schon sehr einfach.
Was alles doof sein kann, könnt ihr zu Genüge online nachlesen. Ich bin bisher positiv überrascht und zufrieden, deshalb schreibe ich das auch so.
Jeder definiert das anders, aber mein Verständnis von Lebensqualität beinhaltet deutlich mehr, als massenhaft Nüsse und fasrige Lebensmittel essen zu können. Deshalb würde ich sagen, dass ich trotz der Veränderungen durch das Stoma wieder bei gut 90% der Lebensqualität angekommen bin, die vor der Erkrankung hatte. Die fehlenden 10% entstehen bei mir persönlich eigentlich fast komplett durch die Beeinträchtigung der Bauchmuskeln und den daraus folgenden Grenzen bei Sport und Bewegung.
Deshalb möchte ich auch den weiteren Schritt zum J-Pouch gehen. Damit wäre kein Loch mehr in der Bauchdecke und diese Einschränkungen im Idealfall auch wieder weg. Natürlich gibt es andere Risiken und niemand kann garantieren, dass ich mit dem Pouch mehr kann, als jetzt im Moment. Sollte er aber nicht gut genug funktionieren, kann ich immer noch zum Stoma zurück. Und damit würde ich gut klarkommen, wie ich mittlerweile weiß.